Das Wahlseminar Kunst und Gestaltung vermittelt grundlegende Methoden und Kenntnisse wissenschaftlichen Arbeitens in einer kulturtheoretischen Auseinandersetzung mit der Gestaltung unserer Umwelt. Entlang wechselnder Semesterthemen widmen wir uns eigenständigen Recherchen im Feld von Kunst und Gestaltung, der Präsentation von Text- und Bildmaterial und dem Verfassen einer schriftlichen Arbeit.

Antilia, Mumbai, 2017 – Foto: Peter Mörtenböck
Klasse Architektur
Ausgangspunkt dieses Seminars ist die 2019 im Kunstverein in Hamburg gezeigte Ausstellung Klassenverhältnisse: Phantoms of Perception. Die Ausstellung widmete sich dem mangelnden Bewusstsein für Fragen der Klassenzugehörigkeit, Macht und sozialen Differenz in unserer von offenen und verdeckten Formen sozialer Diskriminierung geprägten Zeit. Diese als „Klassismus“ bezeichnete Benachteiligung und Unterdrückung aufgrund von sozio-ökonomischer Herkunft ist vermehrt Gegenstand von Auseinandersetzungen in Kunst, Literatur und Wissenschaft.
Ein konkretes Beispiel für die Ausbreitung von Klassismus im Alltag ist die seit Jahren immer geringer werdende soziale Durchlässigkeit des Bildungssystems. Personen aus strukturell benachteiligten Bevölkerungsschichten haben immer weniger Zugang zu einem Universitätsstudium. Klassismus findet sich aber nicht nur im Bildungsbereich, sondern auch im Bereich des Wohnens, der Stadtplanung, der Umweltgestaltung sowie ganz allgemein in der Abwertung von „bildungsfernen“ Ausdrucksformen und Lebensstilen, die „gehobenen“ Ansprüchen nicht gerecht werden.
Im Seminar wollen wir speziell das Verhältnis von Klassismus und Architektur genauer betrachten, denn egal ob vernachlässigt, verleugnet oder schlichtweg nicht bemerkt: Formen von Klassismus sind im Bereich der Architektur beinahe immer unterschwellig präsent. Von der universitären Architekturausbildung bis zu städtebaulichen Beteiligungsverfahren; vom hegemonialen Kanon der Architekturgeschichte bis zu den jeweils aktuellen Leitbegriffen im Architekturdiskurs; und von den beschönigenden Renderings neuer Wohngebiete bis zu Ausstellungen „guter“ Architektur. Wir spüren im Verlauf des Semesters den verschiedenen Phantomen nach, die sich hinter den scheinbar klassenlosen Fassaden von Architektur verbergen. Welche Mittel haben wir, diese Phantome zu erkennen und zu beschreiben? Und ist Architektur nicht nur beteiligt an der zunehmenden Ausbreitung von Klassismus, sondern kann uns Architektur auch helfen, dieser Entwicklung gegenzusteuern?
Die Literatur, mit der wir uns im Seminar beschäftigen werden, reicht von Didier Eribons vieldiskutiertem „nicht-fiktionalen Roman“ Rückkehr nach Reims (2016), über bell hooks Auseinandersetzung mit der Klassengesellschaft in Where We Stand – Class Matters (2000) und neuere Texte zu Fragen des strukturellen Zusammenhangs von Klassismus, Kunst und Gestaltung, bis hin zu aktuellen Architekturpublikationen, die sich mit der Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse auseinandersetzen.
In einem ersten Treffen am 10. Oktober 2023 besprechen wir neben dem Inhalt des Seminars auch Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens. Am 7. November und 12. Dezember 2023 diskutieren wir auf Basis von Kurzreferaten ausgewählte Literatur und unterhalten uns über die Inhalte, Methoden und Zielsetzungen der einzelnen Seminararbeiten. Am 23. Jänner 2024 unterhalten wir uns schließlich anhand von Kurzreferaten über Struktur und Fertigstellung der schriftlichen Seminararbeit.
Ein ausführliches Konzept zur eigenen Arbeit ist bis 12. Dezember 2023 abzugeben. Schlussabgabe: 20. Februar 2024.
Web-Links:
https://www.kunstverein.de/ausstellungen/klassenverhältnisse
http://didiereribon.blogspot.com/2022/02/class-relations-as-phantoms-of.html
Literatur:
- Riccardo Altieri, Bernd Hüttner: Klassismus und Wissenschaft, BdWi-Verlag – Rosa Luxemburg Stiftung, 2020.
- bell hooks: Where We Stand – Class Matters, Routledge, 2000.
- Didier Eribon: Rückkehr nach Reims, Suhrkamp, 2016.
- Kim Ha Tran, 'Über fehlende Zugänge in der Architektur', Bauwelt 26 (2022), 22-26.
- Julia Reuter et al. (Hg.): Vom Arbeiterkind zur Professur: Sozialer Aufstieg in der Wissenschaft. Transcript, 2020.