Produktive Stadt – A Good City has Industry!
Die Stadt war ursprünglich ein Sammelbecken unterschiedlichster Funktionen: Arbeit aller Art, Gewerbe, Industrie, Handel, Leben und Vergnügen - all dies hatte Platz - parallel, nebeneinander, hintereinander, übereinander als auch hybrid. Doch das dichte Nebeneinander unterschiedlicher Nutzungen kam an seine Grenzen. Denn die Zeit der Industrialisierung, wo Wohnen und Arbeiten engstens miteinander verwoben waren, führte zu starken gesundheitlichen Problemen, hygienischen und sozialen Konflikten. In Folge dessen wendeten sich die meisten industriell geprägten Städten wieder vom Ideal der Dichte ab und ein Trend zur Entflechtung und eine Hinwendung zur funktionalistischen Trennung fand statt, welche die Industrie, sozusagen, vor die Tür gesetzt hat. Man wohnte von nun an in einem Wohngebiet, man erholt sich in einem Erholungsgebiet, die Produktion findet in einem Gewerbe- oder Industriegebiet außerhalb der Stadt statt und um diese einzelnen Enklaven miteinander zu verbinden ist der öffentliche Stadtraum überwiegend zum Verkehrsraum transformiert worden. Doch genau diese und die Trennung von Nutzungen und das Fehlen von gemeinschaftlichen und öffentlichen Räumen fördert die Fragmentierung und Individualisierung der Gesellschaft. Denn gerade sozialen Realerfahrungen – nämlich jeden Tag unterschiedliche Menschen zu sehen, zu treffen und zu sprechen – sind die Grundvoraussetzungen für die Entwicklung eines demokratischen und solidarischen Grundverständnisses (Thomas Sieverts).
Der aktuelle Diskurs der produktiven Stadt wirkt diesen Entwicklungen entgegen und setzt sich für eine Rückwendung auf ein konstruktives und lebendiges Neben- und Miteinander ein. Eine Stadt der kurzen Wege ist ökologischer, mit einer steigender Dichte sinkt der Landverbrauch pro Kopf und die Auslastung und das Angebot von sozialer Infrastruktur und Kultureinrichtungen nimmt zu. Wenn dann auch noch Waren und Lebensmittel lokal produziert und gehandelt werden, führt es dazu dass die Stadt wieder zu einem engmaschigen Netzwerk von Wohnen, Arbeiten, sozialem und kulturellem Leben werden kann, die der Lebenswirklichkeit der Menschen im 21. Jahrhundert entspricht und den sozialen Herausforderungen entgegenwirken kann.
Rotterdam – ein fruchtbarer Boden für Architekturexperimente
Um die Architekturlandschaft und das Stadtgefüge von Rotterdam zu verstehen, muss man seine Geschichte kennen: Rotterdam ist die zweitgrößte Stadt in den Niederlanden und beherbergt den größten Containerhafen Europas. Die im Rhein-Maas-Delta gelegene Hafenstadt hat Anfang des 20. Jahrhunderts einen enormen Aufschwung als globaler Umschlagplatz für Gütererfahren. Im zweiten Weltkrieg wurde die florierende Stadt und Teile des Hafens bei einem Bombenangriffen beinahe komplett zerstört. Das alte Rotterdam verschwand weitgehend und der Wiederaufbau nach dem Krieg stellt einen städtebaulichen Neubeginn für die Stadt dar: ganz im Sinne der modernen funktionsgetrennten Stadt wurde Rotterdam in monofunktionale Wohn-, Arbeits- und Freizeitgebiete unterteilt. Das Stadtbild der Innenstadt weißt bis heute kaum Reminiszenzen einer historisch gewachsenen europäischen Stadt auf. Rotterdam ist gewollt modern und ambitioniert und hat aufgrund seines historischen Kontextes und der großflächigen Rekonstruktion viel Platz für Architekturexperimente geboten. Mittlerweile ist Rotterdam, auch deshalb, von ihrem Industrieimage zu einer modernen Hafenstadt emanzipiert. Die Stadt wächst und rechnet alleine in den nächsten 10 Jahren mit einem Bedarf von in etwa 50.000 Wohnungen. Doch nicht nur der Wohnbedarf steigt, sondern auch die Anforderungen an den Hafen und seine Industrie, welche sich immer mehr Richtung Westen und der Nordsee ausdehnt. Das hat zur vorteilhaften Folge, dass in Innenstadtnähe ehemalige Hafengebiete frei werden, die nun auch anderen Nutzungen zugeführt werden können.
Merwe-Vierhavens [M4H] – ein Stadthafen im Wandel
Merwe-Vierhavens, oder auch kurz M4H, ist einer dieser Stadthäfen in Rotterdam, dem ein großer Wandel bevorsteht und das Fokusgebiet dieser Lehrveranstaltung. Aktuell befinden sich noch einige Hafennutzungen im M4H-Areal, doch die Kreativwirtschaft, Zwischennutzungen, soziale Einrichtungen und auch F&E haben schon ihren Weg in das Hafengelände gefunden und sich die leerstehenden Gebäude und Flächen angeeignet. Die städtebauliche Strategie der Stadt Rotterdam hat in den letzten Jahrzehnten eine komplette Umkehrung vollzogen und verfolgt mittlerweile einen radikalen Nutzungsmix anstatt einer Funktionstrennung. Das M4H-Areal soll nach und nach in einen Mix von verschiedensten Funktionen transformiert werden, der der dort ansässigen Produktion und Hafenindustrie Raum lässt, aber auch Wohnen, Freizeit und neue Formen des Arbeitens und des Neben- und Miteinanders integriert und ermöglicht.
Bausteine der Interaktion – Entwerfeninhalt
Um ein neues Verständnis für die Mischung zeitgenössischer Formen des Wohnens und Arbeitens, des Erholens und des Produzierens zu bekommen entwickeln und entwerfen sie verschiedene ‘Bausteine der Interaktion’. Während der Exkursion suchen sie sich Orte, Räume, Plätze und Typologien in die Merwe-Vierhavens [M4H] und wo Interaktion durch Mischung entstehen kann. Diese Dokumentieren sie und entwickeln sie weiter, unter anderem durch das Erproben von neuen Formen des Mischens.
Fragen die sie hier beantworten sind unter anderem; Welche Typologien sind hierfür geeignet? - welche brauchen eine Anpassung? Entwerfen sie mehrere ‘Bausteine der Interaktion’ und untersuchen sie; - Wie sieht so ein Baustein aus? - Was muss sie können? - Was kann man mischen? - Was geht nebeneinander? - Was geht zusammen? - Was muss getrennt sein? Wo kann gemischt werden und wo eben nicht?
Sie arbeiten in Teams von bis zu drei Personen an ein Thema. Jeder im Team entwickelt und entwirft anhand das Thema ein Interaktiven Baustein. Die anhand verschiedener Pläne, wie Axonometrien, erläutert wie ihre Form der Mischung funktioniert. Somit entsteht ein gemeinsamen Katalog von Interaktiver Bausteine mit verschiedenster Themen.
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Die Lehrveranstaltung wird mit der Lehrveranstaltung “Going Dutch 010 – Produktive Stadt” Cross-Over Workshops und Besprechungen angeboten, um den Studierenden die Möglichkeit zu bieten sich über die entstandene Recherche, Analyse und Entwurf untereinander auszutauschen.
Zusätzlich zum Betreuer:innen-Team wird es im Zuge der LVA auch Input von folgenden Expert:innen und lokalen Akteur:innen geben:
- Susann Ahn – Forschungsbereich Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung, TU Wien
- Markus Appenzeller – MLA+ / Academie van Bouwkunst Amsterdam
- Annette Matthiessen – Stadt Rotterdam
- Marthe van Gils – Veldacademie Rotterdam
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Exkursionsprogramm GOING DUTCH – ROTTERDAM + AMSTERDAM
Start: Sonntag: 23.10.2022 14:00 (M4H Gelände in Rotterdam)
Ende: Freitag 28.10.2022 18:00 Uhr
- Montag Tagesexkursion nach Amsterdam, an allen restlichen Tage findet das Programm in Rotterdam statt.
- Anreise + Unterkunft sind selbständig zu organisieren
- zusätzlich sind mit ca. 60€ extra kosten für Gruppenführungen und Eintritte zu rechnen
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Beide GOING DUTCH-Entwerfen sind auch offen für Studierende der Raumplanung (jeweils 3 Studierende pro Entwerfen).
Anmeldung:
mit Portfolio per Mail bis 29.09.2022
an almar.ruiter@tuwien.ac.at
Anrechnung:
Kleines Entwerfen (5 ECTS)
= RPL Studierende müssen zwei 5 ECTS Entwerfen absolvieren, und können es dann als Masterprojekt RPL verwenden
Großes Entwerfen (10 ECTS)
= Pflichtmodul 3: Masterprojekt Raumplanung (12 ECTS)
(Die fehlenden 2,0 ECTS können durch thematisch geeignete Lehrveranstaltungen aus dem Angebotd er Kern- und Ergänzungsfächer der Wahlmodule des Masterstudiums Raumplanung und Raumordnung oder des Masterstudiums Architektur ergänzt werden)