Das Entwerfen „Kopiehafte Wohnblöcke mit kopiehaften Wohnungen“ schlägt Kopiehaftigkeit als positive formale Eigenschaft von Architektur vor. Dieses Entwerfen arbeitet explizit formal jedoch diametral gegenläufig zu jener zeitgenössischen, formalen Arbeit in der Architektur des Wohnbaus, welche ihre inhärente Serialität stets durch die Erzeugung möglichst großer formaler Differenz problematisiert. Die architektonisch-formale Arbeit zur Etablierung der Kopiehaftigkeit erfordert eine neue relationale Methode der Formerzeugung, bei deren Entwicklung historische Beispiele in dieser Hinsicht neu gedeutet werden müssen. Ein Rekurs auf die Beispiele großer Serialität aus dem Massenwohnungsbau der Nachkriegszeit leistet nämlich keine Hilfe, da die Serialität erstens auf das kleinfamiliäre Modell beschränkt ist und zweitens nie formal argumentiert und erarbeitet wurde, sondern immer technisch-teleologisch, mal funktionalistisch, mal industrialistisch-utilitaristisch, mal metabolistisch oder puristisch.
Die französische und russische Revolutionsarchitektur sowie die Architektur des Roten Wiens, die in ihren unterschiedlichen Entstehungszeiträumen den grundsätzlichen Anspruch einer architektonisch gegliederten Gleichheit formulieren, bieten hingegen für die Erarbeitung einer positiven Kopiehaftigkeit viele lehrreiche Anhaltspunkte. Damit werden eine Rezeption und eine Re-Lektüre dieser Architekturen notwendig, die in der Geschichte der Nachkriegszeit aus unterschiedlichen Gründen jeweils entweder eklektisch und einseitig betrieben wurde oder fast gänzlich ausblieb. Der Nachvollzug der Rezeptionsgeschichte des Roten Wiens über Manfredo Tafuri im Italien der 1970er sowie die fehlende Rezeption im ehemaligen Ostblock bringt uns zu der heute noch zentralen Frage, ob und wie sich sozialistisches Bauen von bloß pragmatischem, qualitativ hochwertigem Wohnbau unterscheidet.
Mit der Kopiehaftigkeit in der Serialität wird im zeitgenössischen Diskurs zur Wohnungsfrage eine architektonische Form artikuliert, die in Ablehnung des zeitgenössischen Dogmas der formalen Differenz in der Serialität erstmals nicht auf das historische Modell der einfachen Serialität der Nachkriegszeit rekurriert, sondern die Möglichkeiten eines nicht-neoliberalen Wohnens und eine architektonische Arbeitsweise eröffnet, welche die grundsätzliche Kopiehaftigkeit als Ursprungsort moderner Architektur annehmen kann. Kopiehafte Wohnblöcke mit kopiehaften Wohnungen affirmieren das Unerwünschte des Neoliberalismus: die kopiehafte Serialität.
Literatur:
Jean Baudrillard, Das System der Dinge. Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen, Frankfurt a. M.: Campus Verlag /New York 2007. - Eve Blau, Rotes Wien. Architektur 1919-1934. Stadt – Raum – Politik, Basel: Birkhäuser Verlag 2014. - Mario Carpo, The Digital Turn in Architecture 1992-2010, London: John Wiley & Sons 2013. - Emil Kaufmann, Von Ledoux bis Le Corbusier. Ursprung und Entwicklung der Autonomen Architektur, Berlin/Stuttgart: Hatje Cantz Verlag 1989. - Mark Fisher, Kapitalistischer Realismus ohne Alternative?, Hamburg: VSA Verlag 2013. - Maurizio Lazzarato, Die Fabrik des verschuldeten Menschen. Ein Essay über das neoliberale Leben, Berlin: b_books Verlag 2012. - Selim O. Chan-Magomedow, Pioniere der sowjetischen Architektur. Der Weg zur neuen sowjetischen Architektur in den zwanziger und zu Beginn der dreissiger Jahre, Dresden: VEB Verlag der Kunst 1983. - Alexander Nagel/Christopher Wood, Anachronic Renaissance, New York: Zone Books 2010. - Manfredo Tafuri: Vienna Rossa. La politica residenziale nella Vienna socialista, Firenze: Electa Editori 1995. - Jan Turnovský, Die Poetik eines Mauervorsprungs, Basel: Birkhäuser Verlag 2014. - Adolf M. Vogt, Russische und französische Revolutions-Architektur 1917 – 1789, Basel: Birkhäuser Verlag 2000.
Filmographie:
- Luis Buñuel, Der diskrete Charme der Bourgeoisie, 1972. - Luis Buñuel, Dieses obskure Objekt der Begierde, 1977. - Keith Fulton/Louis Pepe, Lost in La Mancha, 2002. - Peter Greenaway, Vertical Features Remake, 1978. - Milo Rau, Die Moskauer Prozesse, 2013. - Milo Rau, Das Kongo Tribunal, 2017. - Steven Spielberg, Close Encounters of the Third Kind, 1977.
Die Suche nach einer Architektur der Kopiehaftigkeit hat nichts mit dem einfachen Kopieren von Originalen zu tun, sondern mit einer neuen relationalen Methode der Formerzeugung, in der sowohl mehrere Wohnblöcke als auch ihre städtebauliche Disposition, ihre Wohnungen und Zimmer immer schon mit einem gleichzeitigen Blick aufeinander entworfen werden. Durch dieses grundsätzlich simultane Entwerfen von beispielsweise mehreren Wohnblöcken lassen sich Setzungen der architektonischen Form ermitteln, die die gegenseitige formale Gleichheit – die als Kopiehaftigkeit begrifflich bestimmt wird – maximieren. Diese Erkundung der formalen Eigenschaften der Kopiehaftigkeit eröffnet eine Forschung über Wohnformen jenseits der 'smarten' Optimierung, Individualisierung und Flexibilisierung. Dabei führt diese Stärkung der Charakteristiken des Kopiehaften zu einer präzisen Auseinandersetzung mit dem architektonischen Kern der Wohnungen, indem ihre Winkel, Balkone, Fenstersetzungen, Installationen, Grundrisse, Volumen u.a. von der Markierung der Differenz abgelöst und in die Lage der Kopiehaftigkeit versetzt werden müssen. Genauso, wie die reichhaltige Kopiehaftigkeit von Zwillingen nicht eine ist, die aus Normierung, Modularisierung oder Abstraktion entsteht, bewegt sich die formale Suche nach der Kopiehaftigkeit in die Gegenrichtung der logistischen Hierarchisierung metabolistischer Architektur oder der Gleichheit als Ansammlung würfelartiger Zell-Einheiten in Klöstern, im funktionalistischen Wohnbau der Nachkriegszeit, oder im Plattenbau. Anstatt, dass die Großform hierarchisch abgetrennt ist von den einzelnen Wohnungen, wodurch immer ein Moment der nicht-motivierten Anreihung entsteht, sei es im großen, im mittleren, oder im kleinen Maßstab, verlangt unser Entwerfen nach einer neuen Thematisierung kopiehafter Spannungsverhältnisse zwischen den Zimmern, den Wohnungen, den Wohnblocks und dem Städtebau.